Teil 1: Kreativität ist Ansichtssache
Jeder Mensch ist kreativ, aber nur wenige trauen sich, es zu sein und dann auch noch zu sagen
Das ist ein bisschen so wie mit der allgemeinen Einstellung in Alltagssituationen wie ich sie in Jacks Geschichte am Freitag gezeigt habe. Wir haben immer die Wahl.
Wie sagt man auch „You cannot choose the cards you’re dealt, but you can choose how to play your hand“.
Das gilt auch für die Kreativität. Bei Kreativität ist es sogar noch wichtiger. Denn ohne einen gewissen Optimismus und eine positive Einstellung, kann man gar nicht kreativ sein.
Kreativ sein bedeutet für mich, etwas Neues zu erschaffen. Wann immer man mit einem weißen Blatt Papier anfängt oder mit ein paar Zutaten bzw. Materialien startet und daraus etwas Neues schafft. Das ist für mich per se kreativ. Das kann auch das Zaubern eines leckeren Kuchens sein oder das Nähen einer Babyhose. Wann immer man etwas „kreiiert“. Danach gibt es natürlich noch verschiedene Abstufungen: wenn man etwas strikt nach Vorlage erarbeitet, oder ob man verschiedene existierende Sachen zu neuen kombiniert, ob man verschiedene Techniken kombiniert oder ob man etwas „ganz Neues“ schafft. Das sind unterschiedliche Arten von Kreativität mit jeweils einem anderen Grad an neuen, eigenen Ideen. Aber es ist alles kreativ.
Man könnte auch sagen, dass es unterschiedliche „Reifegrade“ von Kreativität sind. Zunächst malt man etwas ab, um überhaupt das Malen zu lernen und selbstsicherer mit dem Stift in der Hand zu werden. Genauso macht es ein kleines Kind. Durch die Übung verinnerlicht man etwas und erarbeitet sich auch ein Repertoire an Motiven (z.B. Blumen, Tiere oder Buchstaben). Irgendwann werden verschiedene Motive oder auch verschiedene Techniken kombiniert. Z.B. wenn man zunächst einen Stoff mit Stempeln bedruckt und dann daraus einen Kissenbezug näht.
Und wenn man ein ganz großes Repertoire an Techniken und Motiven beherrscht, wird man auch neue Bilder, die man im Kopf hat, ganz unterschiedlich umsetzen können.
In unserer Gesellschaft wird aber häufig nur die letzte als die einzig wahre Kreativität und das künstlerische Schaffen propagiert. Das finde ich total schade, weil es damit dem ganz großen Teil der Gesellschaft die Kreativität aberkennt.
So zum Beispiel auch in der „ZEIT“-Ausgabe vom 13. Mai 2015. Die Titelstory, die mich total neugierig gemacht hatte, lautete „Heute ist uns leider nichts eingefallen“.
Ich wurde schon skeptisch, als ich sah, dass die dazugehörige Titelgeschichte nur drei Seiten lang werden sollte (kein eigenes Dossier) und auch noch am Ende des Feuilletons angesiedelt war.
Ich mag keine Feuilletons. Ich habe den Eindruck, hier wenden sich die Journalisten nur an eine literarisch, kulturell versierte Gruppe der Gesellschaft, zu der ich nicht gehöre – und vor allem gar nicht gehören will, weil sie sich irgendwie elitär und daher latent arrogant gibt.
Und so handelten die drei Artikel zu meinem geliebten Titelthema dann auch von den Musen von den alten Griechen bis ins Mittelalter, von Wolfgang Joop und einem Philosophen, der ebenfalls die Kreativität und das Empfangen eines Geistesblitzes auf etwas besonders Erhabenes und selten Geschehendes darstellte.
Das mag alles richtig sein.
Aber ich finde, dass es zu kurz gesprungen ist. Wolfgang Joop beschrieb in seinem Text, dass er immer auf der Suche nach einer neuen, einzigartigen Idee sei, dass die Mode immer schon um Jahre ihrer Zeit voraus sei.
Ja, sicher, Wolfgang Joop ist ein Künstler, ein Kreativer, der aus seiner Kreativität seinen Beruf gemacht hat. Und er ist sicher auch einer der besonders ideenreichen Menschen unseres Landes. Er ist extrovertiert, ein bisschen schräg, mutig. So sind viele von uns sicher nicht.
Aber trotzdem heißt das doch nicht, dass nur Menschen wie er künstlerisch und kreativ tätig sein können.
Warum tun wir immer so, Kreativität sei etwas so Außergewöhnliches und es sei nur wenigen, in einer besonderen Form begabten Menschen vorenthalten?
Jeder Mensch ist kreativ!
Jeder von uns hat die Veranlagung – nämlich das intuitive und visuelle Denken und ein paar ziemlich versierte Hände, die verdammt komplizierte neue Dinge erschaffen können.
Wir reden uns einfach nur ein, dass wir es nicht können.
“There is nothing new under the sun.”
Das stand schon in der Bibel! (Altes Testament, Eccl. 1:9)
Ja, und da muss ich dann auch leider bei allem Respekt vor Herrn Joop sagen, ja, die Mode ist schnellebig, aber wir wissen auch alle, dass es nirgendwo so offensichtlich ist wie in der Mode, dass alles immer wieder kommt. Ich erwähne nur Schlaghosen und Karottenjeans. Auch die Modedesigner kombinieren Elemente aus vergangenen Modeepochen wieder neu. Rufen jedes Jahr eine neue Trendfarbe aus. Ja, jedes neue Kleidungsstück ist kreativ, aber im Grunde war alles schon einmal da. Und im Grunde kombiniert auch jeder Künstler Bestehendes zu neuen Bildern oder Objekten. Und jeder Produktentwickler oder Kampagnen-Designer genauso.
Kreativität ist Ansichtssache.
Und jeder Mensch ist kreativ.
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Teil 1: Kreativität ist Ansichtssache
Teil 2: Kreativität ist Kopfsache
Teil 3: Den Kopf austricksen