Mentale Tricks fürs kreative Schaffen
Weißt du, warum ich so gerne mit einem schwarzen Fineliner zeichne?
Wenn du mit einem schwarzen Stift eine Linie ziehst, ist sie sofort da. Sie leuchtet in starkem Kontrast von dem weißen Blatt dir entgegen. Kann nicht radiert werden, kann nicht mehr geändert werden. Ich finde, das hat etwas Gutes. Ich weiß, viele denken, es ist eine größere Hürde und dass es leichter wäre, mit einem Bleistift anzufangen. Aber gerade die Tatsache, dass eine Bleistiftlinie ja wieder geändert werden kann, ist ein Problem. Denn es ist sozusagen die offene Tür für deinen inneren Kritiker.
Während wir zeichnen, arbeitet unsere rechte Gehirnhälfte. Die linke, die für das logisch-analytische und die Sprache zuständig ist, wird dabei nicht oder nicht so sehr gebraucht. Sie hat also Zeit… und fängt an, sich das, was da vor deinem Auge auf dem Papier entsteht zu betrachten und zu kommentieren.
Kennst du das? Du malst etwas und nach jedem Strich, kommt direkt die Bewertung in deinem Kopf auf:
„Hm, das ist jetzt aber nicht so, wie du das wolltest, oder? Das sieht komisch aus… Also, so sieht die Blume da doch echt nicht aus! Und guck mal, diese krummen Beine des Jungen und die Augen, die sind ja voll schief!“
So ungefähr… du weißt bestimmt, was ich meine.
Das ist natürlich nicht nur die linke Gehirnhälfte alleine, aber wir nennen es gerne den inneren Kritiker. Diese Stimme im Kopf, die sich gerne mit bewertenden Kommentaren einschaltet. Sobald du aus deiner Komfortzone heraus gehst, stellt sie dieses waghalsige Unterfangen in Frage. Es könnte ja etwas Neues daraus entstehen, worauf du nicht eingestellt bist! Dein innerer Kritiker will dich schützen: vor Enttäuschung, vor Bloßstellung, vor Schmerz.
Aber wenn wir immer nur das tun, was wir schon können und schon immer getan haben, ist das erstens auf lange Sicht langweilig und zweitens, lernen wir nicht wirklich etwas Neues dazu! Und tatsächlich wollen wir uns doch im Laufe unseres Lebens immer weiter entwickeln!
Steven Pressfield beschreibt in seinem Bestseller „The War of Art“ den Widerstand, den kreativ Schaffende so häufig spüren. Er sagt zum Beispiel zu Beginn des Buches „es sei nicht das Schreiben an sich, das schwierig ist, sondern was uns davon abhält, uns hinzusetzen und anzufangen zu schreiben, das ist der Widerstand“. Seiner Meinung nach ist dieser Widerstand in uns sogar eine Art negativer Energie, die sich um uns oder in uns bildet, und uns diesen Anfang erschwert. Man könne es sich wirklich so vorstellen, wie eine Art inneren Gegner.
Ich glaube, dass beides zusammen hängt. Diese Energie und der innere Kritiker. Und dann gibt es da noch eine dritte Kraft im Bunde, die dich abhalten will: eine negative Erfahrung aus deiner Vergangenheit!
Bis wann hast du gerne gemalt als Spiel in deiner Kindheit?
Wie alt warst du, als du aufgehört hast, einfach so zu malen? Und was sagten die Erwachsenen in deinem Leben in dieser Zeit zu deinen Werken? Gab es vielleicht sogar eine Person, eine Lehrerin oder einen Elternteil, die oder der dich einmal mit einem Kommentar verletzt hat? Oder bist du vielleicht selbst immer kritischer mit deinen Ergebnissen geworden, weil du mit der Zeit immer mehr kennen gelernt hast, und dich mit den Werken anderer verglichen hast?
Vielleicht hast du auch gar nicht aufgehört mit dem Malen, Zeichnen oder Schreiben. Das ist natürlich wunderbar. Aber selbst dann kennst du sicher sowohl die innere kritische Stimme im Kopf, den Widerstand, den du beim Anfangen spürst oder eine schmerzliche Bewertungs-Erfahrung, die in deiner Erinnerung hoch kommt.
Lass dich davon nicht einschüchtern. Das ist alles total normal. Aber es ist auch nicht die einzige Betrachtungsweise, nicht die einzige „Wahrheit“. Deine innere Stimme will dich schützen. Aber wenn du etwas lernen willst, kann sie kontraproduktiv sein. Du kannst sie, wenn du dich z.B. ans Malen setzt, bewusst einmal weg schicken. Ich sage gerne, „schick deinen inneren Kritiker mal auf ein Sofa in der Ecke, damit du in Ruhe arbeiten kannst”. Stell’ es dir ruhig bildlich vor! Sei ganz bewusst nicht so kritisch mit deinem Werk, während es entsteht. Vor allem nicht, wenn du gerade etwas Neues lernst.
Wenn du Widerstand spürst beim Anfangen, dann mache dir bewusst, dass es tatsächlich eine negative Energie sein könnte (wer weiß woher), und dass du einfach nur anfangen musst, um sie zu durchbrechen.
Ich sage mir manchmal: “Wenn du angefangen hast, hast du Hälfte geschafft.”
Wer ist also dein größter Kritiker? Was hält dich manchmal davon ab, mit etwas zu beginnen?
Mache es dir bewusst! Beim nächsten Mal, wenn du etwas beginnen möchtest, denke daran und überlege dir, ob es wirklich so eine große oder eine sinnvolle Hürde ist… oder vielleicht nicht?
Und wenn du Lust hast, probiere einfach mal aus, mit einem Fineliner zu zeichnen. Direkt aufs Papier, ohne Skizze. Wenn sich deine innere Stimme über die krumme Linie anfängt zu beschweren, kontere: „Na und, das kann ich jetzt eh nicht mehr ändern! Das war so gewollt! Und jetzt lass mich in Ruhe lernen!“
Hab ein kreatives Wochenende!
Und weil ich es ja angekündigt hatte: hier sind meine ersten zwei Bilder von der #the100dayproject Challenge. Den Sumpfstengelwurz (cooles Wort!) habe ich auch einfach mit dem Fineliner drauflos gemalt. 😉
Zum Abschluss noch eine schöne Passage von Steven Pressfield aus „The War of Art“ (S. 15)
„Das Ziel des Widerstands (…) ist das Epizentrum unseres Seins: unser Genies, unsere Seele, das einzigartige und unbezahlbare Geschenk, für das wir auf die Erde gebracht wurden und das niemand außer uns hat.“